Anders abbiegen

Es ist Frühling. Das erkennt man nicht nur an den Krokussen, die allerorts aus dem Boden sprießen, oder an den frischen Knospen an den Bäumen. Ein Indiz dafür sind auch die zahlreichen Fahrradfahrer*innen, die sich auf den Straßen tummeln. Sobald die Temperaturen steigen, wird es mitunter eng auf den Radwegen. Die Gründe, um aufs Rad zu steigen, sind vielfältig: Fahrradfahren ist effizient, günstig, nachhaltig und hält fit.

Auch ich liebe Fahrradfahren. Schon als kleines Kind war es das Fortbewegungsmittel meiner Wahl, um meine Umgebung zu erkunden. Auf dem Rad fühlte ich mich frei und unabhängig. Oft fuhr ich einfach drauf los, ganz ohne Ziel. Aber immer mit der absoluten Gewissheit, dass es dort, wo ich ankomme, bestimmt etwas Spannendes zu entdecken gibt. Manchmal war die Vorfreude auf das nächste Rad-Abenteuer so groß, dass ich am Abend vor Aufregung nur schwer einschlafen konnte.

Heute ist das anders. Ich fahre zwar mehr Rad denn je, aber es ist meistens keine Abenteuerausfahrt, sondern der routinierte Weg zur Arbeit in das Büro der Gebietsbetreuung Nord am Schlingermarkt. In meinem Fall sind das 13,5 km durch größtenteils dicht verbautes Wiener Stadtgebiet. Ich springe nicht mehr vorfreudig aus dem Bett für die nächste Erkundungstour. Vielmehr hadere ich jeden Morgen damit, mich auf den Sattel zu schwingen, in der Kälte (oder Hitze) durch den Morgenverkehr zu schlängeln und permanent das risikohafte Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer*innen einzuschätzen zu müssen.

Ist der innere Widerstand aber einmal überwunden und sind die ersten Kilometer zurückgelegt, verändert sich etwas in mir. Dann höre ich das Abenteuer wieder leise rufen, das vielleicht schon hinter der nächsten Abbiegung lauert. Und ich kann wieder spüren, dass die Stadt nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Hin und wieder biege ich dann ab, nehme einen neuen, mir unbekannten Weg, und vertraue darauf, dass auch dieser mich ans Ziel bringt. In den meisten Fällen tut er das auch.

So ist das mit inneren Widerständen. Sind sie erst mal überwunden, öffnet sich der Weg für neue Möglichkeiten und Erfahrungen.

Bild: © privat
Text: Fabian Mayrhofer